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Deutsche Welle im Nahen Osten

Deutsche Welle im Nahen Osten

Die Fähe

Es gab einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Antisemitismus der Nazis und dem Antizionismus im Nahen Osten. Am Vorabend des 2. Weltkrieges sind Juden eine ungeliebte aber geduldete Minderheit in der islamischen Welt. Dies ändert sich recht schlagartig unter dem Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini. Als damals die Zwei-Staaten-Lösung aufkam, hat er alle, die diesen Plan befürwortet haben, verfolgen und töten lassen. Ganz gleich ob Muslime, Juden, Briten,… Unterstützt wurde er von deutschen Nationalsozialisten, die ihn mit Geld, Waffen und Ideologie versorgt haben. Er gab einen Text heraus, „Islam und Judentum", der längst vergessene, wenig beachtete anti-jüdische Ressentiments im Koran, wiederbelebt hat. Sie wurden zu einem neuen Dreh- und Angelpunkt und Juden wurden zum großen Feind erklärt. Verteilt wurde dieses Büchlein von den Nazis sowie von der Muslimbruderschaft in Ägypten, die 1928 von Hassan al-Banna gegründet und aufgebaut wurde. Hierbei wurde er von der Landesgruppe Ägypten der NSDAP unterstützt. Vorsitzender dieses Clubs war Alfred Heß, Bruder des Hitler Stellvertreters Rudolf Heß. Sie haben die Muslimbrüderschaft nicht nur finanziell unterstützt sondern auch ideologisch gefüttert, durch Einladungen zu Vorträgen zum Thema der „Judenfrage". In der Folge machte die Brüderschaft in Ägypten Stimmung gegen Juden und wurden so zu einer großen Massenbewegung. Ein großer Denker der Muslimbruderschaft, Sayyid Qutb, hat 1950 einen Text geschrieben, "Unser Kampf gegen die Juden", in dem er antijüdische Elemente aus dem Islam, dschihadistische Elemente und den eliminatorischen Antisemitismus der Nazis zu einer neuen Mixtur zusammengefügt hat. Und das wirkt bis heute nach. Das Oberhaupt der Muslimruderschaft, Scheich Ahmad Jassin, gründet den dschihadistischen Ableger der Muslimbruderschaft, die Hamas, 1987, um Israel zu vernichten.

Amin al-Husseini kam 1941 zwischenzeitlich nach Deutschland. Hitler wollte die "arabische Freiheitsbewegung" für deutsche Ziele im Nahen Osten einspannen. Al-Husseini wurde Mitglied der SS, mobilisierte Muslime für die Waffen-SS auf dem Balkan, setzte sich für die Blockade von Fluchtwegen für Juden aus Osteuropa ein und lieferte so tausende jüdische Kinder dem Holocaust aus. Auch wurde er Moderator des Senders Radio Zeesen, einem der modernsten Propagandasender der Nationalsozialisten. Er hatte seinen Sitz in Zeesen, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen, südlich von Berlin. Der „Weltrundfunksender Zeesen" wird von den Nationalsozialisten technisch aufgerüstet. „Unser Fernkampfgeschütz im Äther" lobt Propagandaminister Joseph Goebbels den Kurzwellen-Sender. Eine der wichtigsten Hörfunk-Redaktionen ist seit 1939 die rund 80-köpfige Orient-Redaktion. Es gab eigene Sprecher für den Nahen-Osten, da der Sender in der gesamten dortigen Region empfangen werden konnte. Es gelang ihnen, Junis Bahri, den ehemaligen Sprecher des irakischen Rundfunks, als Ansager zu verpflichten. Seine Präsenz wurde schnell zum Markenzeichen des Senders. Es wurde auf Arabisch, Farsi und Türkisch übertragen, in den Nahen Osten, in die Türkei, den Iran bis nach Indien, jeden Abend. Wobei bei den Radioprogrammen nicht die Rassentheorie als Grundlage diente, mit dieser konnte man im Nahen Osten eher weniger anfangen, sondern die Religion. Suren Mohammeds, in Einklang gebracht mit NS-Ideologie. Es begann jede Nachrichtensendung mit der Rezitation von Versen aus dem Koran. Hierfür hatte sich Berlin eine Sondergenehmigung der Al-Azhar-Moschee in Kairo geholt. Untermalt mit persischer und arabischer Musik. Fakten spielten hierbei keine Rolle, auf die Stimmungsmache kam es an. Ein in Palästina am 13. Oktober 1939 angefertigter Bericht des britischen War Office über die Wirkung der deutschen Radiopropaganda trifft dessen Machart recht genau:

„Man kann ganz allgemein sagen, dass die mittlere und untere Klasse den arabischen Sendungen aus Berlin mit großem Vergnügen lauscht. Sie mögen das feurige, ,saftige' Zeug, das da rüberkommt; sie amüsieren sich über die verleumderischen und beleidigenden Angriffe auf britische Persönlichkeiten. Doch nicht mal der leichtgläubige Araber aus bescheidenen Verhältnissen kann all das schlucken, was die Deutschen über den Äther schicken.… Was der durchschnittliche palästinensische Araber aber in sich aufnimmt, ist das Anti-Juden-Material. Das will er hören, daran will er glauben und er tut beides. In dieser Hinsicht ist die deutsche Propaganda definitiv erfolgreich."

Nachdem sich nicht nur Mustafa Kemal Atatürk, der Führer der Türkei, sondern auch sein iranischer Kollege Reza Schah von den Scharia-Vorgaben des Islam emanzipiert hatten, setzte sich Nazi-Deutschland also für die damals aufkeimende islamistische Bewegung, die „Rückwendung" zu den islamischen Wurzeln, ein. Berlin wusste sich hier in Übereinstimmung mit der Position von Amin al-Husseini.

„Berlin machte ausdrücklich von religiöser Rhetorik, Terminologie und Ikonographie Gebrauch", schreibt David Motadel, deutscher Historiker „und suchte die religiösen Lehrsätze und Konzepte aufzugreifen und neu zu interpretieren, um Muslime für die eigenen politischen und militärischen Zwecke zu manipulieren.… Die deutsche Propaganda verknüpfte den Islam mit antijüdischer Hetze in einem Ausmaß, wie sie in der neuzeitlichen muslimischen Welt bis dato nicht vorgekommen war."

Es wurden auf dem Sender sämtliche anti-jüdischen Klischees der letzten Jahrhunderte propagiert, bis diese Hetze gegen Ende des Krieges in direkten Mordaufrufen an Juden kulminierte: „Tötet alle Juden, wo immer ihr sie findet!". Da der Sender eine sehr große Reichweite hatte, kamen nicht wenige diesen Aufrufen nach. In Bagdad kam es zu einem großen Massaker an dort lebenden Juden. Als sich der britische Sieg abzeichnete, beschuldigte al-Husseini die rund 80.000 Juden in Bagdad, sie hätten den Briten durch Verrat den Sieg beschert. Am 26. Mai 1941 griff ein arabischer Redner im Sender Zeesen al-Husseinis Behauptung auf und verknüpfte den angeblichen Verrat mit dem Koran: Seit Mohammeds Kampf gegen die Juden seien sie „überall ein Greuel" und „die größten Feinde der Menschheit". Folglich wurden am 1. und 2. Juni 1941 beim Farhud in Bagdad bis zu 800 Juden ermordet.

Die Synthese von Islam und Nationalsozialismus diente dem Großmufti bis 1945 zur Anwerbung von Muslimen für die SS, ihre ideologische Indoktrination und militärische Ausbildung. Er benutzte religiöse Rhetorik, Ausdrücke und Bilder gezielt, um Muslime für die eigenen Zwecke zu manipulieren. Auch die deutsche Radiopropaganda verknüpfte den Islam mit antijüdischer Hetze in einem bis dahin in der muslimischen Welt unbekannten Ausmaß. Bis zum Kriegsende arbeitete der Großmufti dabei mit dem Reichspropagandaministerium zusammen. Am 26. Juni 1942 sprach SS-Generalmajor Erwin Ettel mit al-Husseini und notierte, dieser habe ihm gesagt: „Deutschland sei das einzige Land der Welt, das sich nicht darauf beschränke, den Kampf gegen die Juden im eigenen Land zu führen, sondern das kompromisslos dem Weltjudentum den Kampf angesagt habe. In diesem Kampf Deutschlands gegen das Weltjudentum fühlten sich die Araber mit Deutschland auf das engste verbunden."

Nach einem Treffen mit ihm 1944 notierte Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Er legt mir dar, dass die arabisch-mohammedanische Bevölkerung keinerlei Interessengegensätze mit dem Deutschen Reich je gehabt habe oder heute habe oder in Zukunft haben werde. Infolgedessen seien die 400 Millionen mohammedanisch-arabische Bevölkerung absolut für uns zu gewinnen, wenn man sie nur propagandistisch richtig bearbeite."

Zu Kriegsende konnte der Großmufti von den Nazis noch sicher ausgeflogen werden. Er wurde zum Sprecher der Palästinenser und zog 1948 zusammen mit Alt-Nazis in den Krieg gegen Israel. Er war Lehrer und Förderer von Jassir Arafat, dem späteren Führer der PLO, der ihn als Vorbild verehrte. Al-Husseinis antisemitische Ideologie beeinflusste zudem indirekt auch die Hamas-Charta.

Jeffrey Herf, US-amerikanischer Historiker: „Nach dem Krieg, in 1946/47, gab es eine antisemitische Welle im Nahen Osten. Und die Muslimbruderschaft in Ägypten war sehr aktiv. Die Argumente gegen die Juden in der Muslimbruderschaft waren ähnlich zu dem, was man über das Radio während des Krieges hören konnte. Die damaligen Radiosendungen produzierten einen Baustein des gegenwärtigen radikalen Islamismus."

„Der Radiosender in Zeesen habe an dieser Verschmelzung großen Anteil gehabt," meint auch der Politikwissenschaftler und Historiker Matthias Küntzel. Denn erst „ab den 30er-Jahren verbreitete sich der europäische Antisemitismus im gesamten arabischen Raum". Es sei maßgeblich das Werk der Nationalsozialisten gewesen, den Judenhass eigener Prägung in den Nahen Osten zu bringen. Der Großmufti von Jerusalem war dabei das ideale Werkzeug.

Ein prominenter Zuhörer von Radio Zeesen war unter anderem Ayatollah Khomenei. Unter ihm wurde der Iran, der bisher ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu Juden und Israel pflegte, zu einem Staat, dessen Führungselite sich die Vernichtung Israels auf die Fahne geschrieben hat.

Wenige Tage vor der bedingungslosen Kapitulation beendete Radio Zeesen den Betrieb. 1945 baute die sowjetische Armee die Anlagen als Reparationsleistung ab und sprengte die Gebäude. Auf dem Gras, das darüber wächst, picken die Hühner. Die Frequenzen des Hasses wirken weiter nach.
Al-Husseini und Hitler 1942


Anmerkung: Die Kabarett- Sendung „Die Anstalt", ZDF, hat am 22.11.2022 eine Folge über die Beziehungen Deutschlands zum Iran gebracht, „Die Iranstalt". Darin wird nicht nur die Beziehung der beiden Länder angesprochen sondern auch Radio Zeesen und das Atom-Abkommen, das in einem früheren Artikel im Newsletter besprochen wurde. Diese Folge ist auf Facebook noch aufzurufen. Sie gibt einen guten, zusammenfassenden Überblick: https://www.facebook.com/watch/?v=585952666387076

Matthias Küntzel, Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand

Jeffrey Herf, Nazi Propaganda for the Arab World

https://www.derpragmaticus.com/r/islamismus-muslimbruderschaft

https://en.wikipedia.org/wiki/Amin_al-Husseini

http://www.matthiaskuentzel.de/contents/die-deutschen-und-der-iran

https://www.tagesspiegel.de/kultur/judisches-leben-bluht-im-iran-3718918.html

https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/konstraste-vom-30-11-2023/hamas-nazi-propaganda.html

https://www.welt.de/geschichte/plus217852712/NS-Propaganda-Wie-der-Antisemitismus-die-arabische-Welt-praegte.html

https://www.deutschlandfunk.de/ns-und-naher-osten-exportierter-antisemitismus-100.html

https://www.deutschlandfunkkultur.de/nazi-propaganda-auf-arabisch-100.html

https://www.mena-watch.com/goebbels-auf-arabisch-teil-i-nazi-radiopropaganda-im-zweiten-weltkrieg/

https://www.mena-watch.com/goebbels-auf-arabisch-teil-ii-judenhass-per-radio/

https://www.mena-watch.com/goebbels-auf-arabisch-teil-iii-von-der-nazipropaganda-zum-nahostkrieg-von-1948/

https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/kurze-welle-lange-folgen/