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100 Jahre Hyperinflation

100 Jahre Hyperinflation

Der Alpenökonom


Wie sich Vermögenswerte in Zeiten dramatischer wirtschaftlicher Verwerfungen entwickeln, zeigt ein Blick in die deutsche Wirtschaftsgeschichte. Der Verlauf der Hyperinflation, die im November 1923 ihren Höhepunkt erreichte, bietet wichtige Hinweise darauf, wie welcher Vermögenswert in den unterschiedlichen Phasen einer sich ständig beschleunigenden Inflation reagiert.

Ausgangspunkt der Hyperinflation war der verlorene Ersten Weltkrieg und die damit einhergehende hohe Staatsverschuldung. Diese speiste sich nicht nur aus den während des Krieges aufgelegten Kriegsanleihen, sondern auch aus den exorbitant hohen Reparationszahlungen, die Deutschland im Vertrag von Versailles auferlegt wurden. Hohe Schulden sind immer Gift für die Stabilität einer Währung.

Unmittelbarer Auslöser der sich selbst verstärkenden Inflationsspirale war die Besetzung des Ruhrgebiet durch Frankreich wegen ausstehender Reparationszahlungen. Die deutsche Regierung rief die Bevölkerung in den besetzten Gebieten zum Streik auf und versprach, die Löhne der Streikenden weiter zu bezahlen. Die Staatseinnahmen fielen weg, während die Lohnverluste der Arbeiterschaft durch höhere Staatsausgaben kompensiert wurde. Zudem ging das Güterangebot zurück.

Wie sich Aktien im damaligen hoch- bis hyperinflationären Szenario entwickelten, zeigt der folgende Chart. Die rot gestrichelte Linie zeichnet den Lebenshaltungsindex von Februar 1920 bis Dezember 1923 nach. In blau gehalten ist der Aktienindex des Statistischen Reichsamtes, der 300 Aktientitel der Börse Berlin umfasst, ausgedrückt in Papiermark. Dieser Index spiegelt somit die nominelle Entwicklung des Aktienmarktes wider. Die grüne Linie bildet denselben Aktienindex ab, dieses Mal allerdings in Goldmark. Das ist die für die Anleger relevante reale Darstellung.

Aktienindex in Papiermark und Goldmark, Lebenshaltungsindex, 1913 = 100, 01/1918 bis 12/1923

Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, eigene Berechnungen

Im Vorlauf zur Hochinflationsphase verloren die Aktien im Schnitt real an Kaufkraft, was auf die wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen unmittelbar im Anschluss an das Ende des Ersten Weltkriegs zurückzuführen ist. Erst als die Inflation im Jahr 1922 an Fahrt aufzunehmen beginnt, ändert sich das Bild. Die Aktienwerte legen nicht nur nominell zu, sondern auch real.

Die Kursrally in nominellen Werten war fabelhaft. Im Jänner 1918 lag der Gesamtindex bei 126 Punkten, zu Beginn der Hyperinflation im Juli 1922 bereits bei 897 Punkten, im Dezember 1923 waren es schließlich 26,9 Billionen Punkte.

Real war die Entwicklung naturgemäß eine gänzlich andere. Im Jänner 1918 betrug der Indexwert 101,93 Punkte, im Juli 1922 waren es nur mehr 7,63 Punkte. Den Tiefstwert von 2,72 Punkten erreichte der Gesamtindex im Oktober 1922. Das ist vom Stand Jänner 1918 an gerechnet ein Minus von 97,3 Prozent. In Goldmark ausgedrückt erzielte der Aktienindex des Statistischen Reichsamtes sein zwischenzeitliches Maximum dann im November 1923 mit 39,36 Punkten, was einen Zugewinn von 415,9 Prozent ab Juli 1922 und von 1.347 Prozent ab Oktober 1922 ergibt. Aktien waren also erst in der Phase deutlich zulegender Inflationsraten bis hin zur Hyperinflation eine gewinnbringende Anlage.

Durchaus überraschend ist, dass der die beiden kapitalintensiveren Sektoren „Bergbau und Schwerindustrie" und „Verarbeitende Industrie" geringere relative Kursverluste hinnehmen mussten als der weniger kapitalintensive Sektor „Handel und Verkehr". Ein Minus auf Jahresbasis von 90 Prozent („Bergbau und Schwerindustrie") bzw. 87 Prozent im Vergleich zu einem von 95 Prozent ist jedoch kaum der Rede wert.

Aktienindex in Goldmark, verschiedene Sektoren, 01/1918 bis 12/1924

Quelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich

Wenig überraschend ist hingegen, wie sich Gold Anfang der 1920er entwickelt hat. Das zeigt der folgende Chart. Rot gestrichelt sind wieder die Lebenshaltungskosten, in Gold gehalten ist die Entwicklung des Goldpreises in Papiermark.

Lebenshaltungsindex, und Goldpreis in Papiermark, 1. Juli 1920 = 100

Gold hat den Anleger nahezu perfekt gegen den Kaufkraftverlust des Geldes geschützt. Während Anfang Dezember 1923 ein Liter Milch 360 Milliarden gekostet hat, blieb der Preis in Gold konstant. Daher waren am Höhepunkt der Hyperinflation die meisten Deutschen bettelarm, obwohl sie Billionäre waren.

Wie sehr das Vertrauen der Bürger in die Papiermark schwand, zeigt auch die Entwicklung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes in der damaligen Zeit. Eine hohe Umlaufgeschwindigkeit besagt, dass jeder sein Geld möglichst schnell loswerden will. Anders ausgedrückt: Wenn die Inflation bereits hoch ist oder ein starkes Anziehen der Inflation erwartet wird, reduziert jeder seine Geldhaltung. Schließlich verliert das Geld Tag für Tag deutlich an Wert. Das facht die Inflation allerdings noch zusätzlich an. Eine niedrige Umlaufgeschwindigkeit deutet dagegen darauf hin, dass das Vertrauen in die Wertbeständigkeit der Währung eher hoch ist. Es besteht kein Grund das Geld schnell auszugeben, weil die Erwartung vorherrscht, dass das Geld seine Kaufkraft behält.

Dass die Umlaufgeschwindigkeit und die Inflationsrate in einem engen Verhältnis zueinander stehen, zeigt die nächsten Abbildung. Die blaue Linie bildet die Umlaufgeschwindigkeit (linke Skala; lineare Skalierung) ab, die orange Linie die Inflationsrate (rechte Skala, logarithmische Skalierung).

Umlaufgeschwindigkeit (linke Skala, linear), und Lebenshaltungsindex (rechte Skala, logarithmisch), 1913 = 1, Jänner 1921 bis Oktober 1923

Quelle: Costantino Bresciani-Turroni: The Economics of Inflation, S. 168; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich

Die Umlaufgeschwindigkeit hat sich während der heißen Phase der Hyperinflation versechsfacht, im Vergleich zum Sommer 1919 ist sie um mehr als den Faktor 40 angestiegen. Das heißt, während 1919 eine Person ihr Monatseinkommen einmal im Monat umgeschlagen hat, musste sie dies am Höhepunkt der Hyperinflation im Spätherbst 1923 durch die Auflösung von Reserven und Ersparnissen sowie durch Mehrarbeit, dem Verkauf von Hausrat oder gar Immobilien gleich 40 Mal tun, um den noch dazu deutlich niedrigeren Lebensunterhalt bestreiten zu können.