Von Redaktion auf Freitag, 02. Juni 2023
Kategorie: KW 22

25 Jahre Euro – Während die EZB feiert, verliert der Euro dramatisch an Kaufkraft

Der Alpenökonom

Am 1. Juni 1998, also vor 25 Jahren, wurde die EZB aus der Taufe gehoben. Ihre Gründung war der letzte Schritt vor der Einführung des Euro, der am 1. Jänner 1999 als Buchgeld und am 1. Jänner 2022 als Bargeld lanciert wurde. Zwei Monate später, als die Phase des parallelen Umlaufs des Euro und der nationalen Währungen zu Ende ging, waren der Schilling, die D-Mark etc. endgültig Geschichte. Die ursprünglichen 11 Mitgliedsstaaten sind nach dem Beitritt Kroatiens am 1. Jänner 2023 mittlerweile auf 19 angewachsen. Mit Monaco, San Marino und dem Vatikan haben drei weitere Staaten den Euro formell eingeführt, während der Kosovo und Montenegro den Euro als Landeswährung übernommen haben. Beide Staaten hatten davor schon die D-Mark als gesetzliches Zahlungsmittel verwendet.

Dass anlässlich eines Jubiläums schönfärberische Reden gehalten werden, ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Solche Reden gehören zum feierlichen Charakter solcher Festakte zweifelsohne dazu. Bei allem Herausstreichen des Positiven und Verschweigen des Negativen sollte dennoch ein Bezug zur Realität bleiben. Den hat Christine Lagarde, seit 1. November 2019 Präsidentin der EZB, mit folgender Aussage nicht zum ersten Mal vermissen lassen. Im Rahmen des Festakts zum 25-Jahr-Jubiläum wird sie mit den Worten zitiert: „Die EZB war und wird weiterhin ein verlässlicher Stabilitätsanker bleiben."

Inwiefern die EZB, gerade auch unter Führung von Christine Lagarde, diesem Anspruch als Stabilitätsanker gerecht wurde und wird, wollen wir uns nun etwas genauer ansehen. Und wir gehen gleich in medias res. Der folgende Chart zeichnet die Kaufkraftentwicklung von 100 Euro nach, die zum EZB-Leitzins, dem Hauptrefinanzierungssatz, verzinst wurden. Kaufkraftmindernd wirkt die Inflationsrate gemessen am HVPI.

Kaufkraftentwicklung von 100 EUR, 01/1999 bis 05/2023

Quelle: Federal Reserve St. Louis, eigene Berechnungen

In den ersten 10 Jahren des Euro lagen die Realzinsen meist im positiven Bereich, wenngleich es zwischen 2003 und 2006 eine erste Durststrecke mit negativen Realzinsen gab. Im September 2009 wurde der damalige Tiefpunkt mit einem negativen Realzins von -0,6% verzeichnet. Im Februar 2010 wurde mit 110,11 EUR der Höchstwert beim Realwert eines Euro erreicht, der zum EZB-Leitzins verzinst wurde. Real hatte dieser verzinste Euro seit der Einführung somit etwas mehr als 10% an Kaufkraft zulegen können.

Seither geht es fast ausschließlich bergab. Im Jänner 2020 rutschte die Kaufkraft in den roten Bereich. Mit dem Beginn der aktuellen Inflationswelle, auf deren Höhepunkt die Differenz zwischen Leitzins und HVPI zwei Monate lang bei 9,4% lag, begann die Kaufkraft des Euro wie ein Eisberg zu schmelzen. Per Ende Mai kauften 100 EUR der Euro-Einführung nur mehr Güter und Dienstleistungen im Wert von 88,39 EUR. Vom Höchstwert der Kaufkraft im Februar 2010 aus gerechnet ergibt sich damit ein Kaufkraftverlust von fast 20% in etwas mehr als 12 Jahren, von der Euro-Einführung vor knapp 25 Jahren aus gerechnet von knapp 12%.

Realzins im Euroraum, 01/1999 bis 05/2023

Quelle: Federal Reserve St. Louis, eigene Berechnungen

Der Kaufkraftverlust von 100 Euro als Bargeld im Portemonnaie gehalten ist naturgemäß höher, da Bargeld keine Zinsen abwirft. Der Kaufkraftverlust des Bargelds in den vergangenen 25 Jahren beläuft sich auf mehr als ein Drittel.

Die hohe Inflation der vergangenen zwei Jahre hat außerdem dazu geführt, dass die EZB selbst ihr minimales Stabilitätsversprechen, die Einhaltung des Inflationsziels von 2%, über den gesamten Beobachtungszeitraum von fast 25 Jahren nicht mehr einhält. Seit rund einem halben Jahr liegt der HVPI über die gesamte Lebenszeit des Euro gerechnet über dem 2%-Inflationsziel. Angesichts der Tatsache, dass das Inflationsziel der EZB ursprünglich „unter 2%", später „nahe, aber unter 2%" lautete, ist die Zielverfehlung der EZB größer, als es die Unterstellung eines Inflationsziels von 2% über den gesamten Beobachtungszeitraum, die diesen Berechnungen zugrunde liegt, anzeigt.

Der Euro im Vergleich zu Gold

Wie wenig der Euro ein Stabilitätsanker ist, zeigt gerade auch der Vergleich mit der Entwicklung des Goldpreises in Euro. Bei der Einführung des Euro am 1. Jänner 1999 notierte Gold bei 245 EUR. Heute, fast 25 Jahre später, stehen wir bei rund 1.835 EUR. Das ist ein Plus von 640% oder von rund 8,6% pro Jahr.

Goldpreis in Euro, 1. Jänner 1999 bis 31. Mai 2023

Quelle: World Gold Council

Anstatt den Goldpreis in Euro bildet der nächste Chart die Goldmenge in Milligramm ab, die gemäß Goldpreis in Euro in einem Euro „enthalten" ist. Die Ausdünnung des Euro in den vergangenen Jahren war dramatisch. Ein heutiger Euro „enthält" um 86,5% weniger Gold als ein Euro im Jänner 1999.

Milligramm Gold pro Euro, 1. Jänner 1999 bis 31. Mai 2023

Quelle: World Gold Council

Die Golddeckung des Euro ist dramatisch gesunken

Der dramatische Wertverlust des Euro zeigt sich auch, wenn wir unterstellen, dass der Euro durch die Goldreserven der Zentralbanken des Eurosystems gedeckt wäre, und damit der Euroraum auf einem Goldstandard wäre. Eine Euro-Banknote ist heute mit 77% weniger Zentralbankgold hinterlegt als noch bei der Euro-Einführung. Die Geldbasis, die sich aus den umlaufenden Euro-Banknoten und den Einlagen der Geschäftsbanken bei den Zentralbanken des Eurosystems ergibt, ist mit 93,5% weniger Gold gedeckt. Bei der Geldmenge M1, die auch noch die Sichteinlagen bei den Geschäftsbanken umfasst, ist der Rückgang mit fast 86% ebenfalls erheblich.

Fazit

Jahrelang vollzog sich der Kaufkraftverlust des Euro schleichend. Mit den 2010er-Jahren wurden zuerst negative Realzinsen im Euroraum zur neuen Normalität, die Jahr für Jahr nun nicht mehr nur die Kaufkraft des Euro-Bargelds, sondern auch der Euro-Ersparnisse anknabberten. Vom leichten, fast unbemerkten Anknabbern sind wir nun schon seit fast zwei Jahren meilenweit entfernt. Die Kaufkraft des Euro erodiert, der von Christine Lagarde behauptete Stabilitätsanker existiert nur mehr in Sonntags- und Selbstbeweihräucherungsreden.

Wenig überraschend suchen die Damen und Herren der EZB in ihren Analysen die Schuld an dieser Entwicklung so gut wie ausschließlich bei anderen. Nur selten erwähnen führende Notenbanker die Geldmengenentwicklung in ihren Inflationsanalysen. Als Folge dieses systematischen Ausblendens eigener Verantwortlichkeiten ist es nahezu ausgeschlossen, dass irgendwelche Lehren für die Zukunft gezogen werden können. Vom Sich-selber-auf-die-Schulter-Klopfen kommt man nicht weiter, das gelingt nur durch ein aufrichtiges Sich-auf-die-Brust-Klopfen, trotz oder gerade anlässlich eines Jubiläums.