Von Redaktion auf Freitag, 15. März 2024
Kategorie: KW 11

Altruismus oder Opportunismus? Südafrikas Verfahren gegen Israel vor dem IGH

Die Fähe

Am 29. Dezember 2023 leitete Südafrika beim Internationalen Gerichtshof (IGH) ein Verfahren gegen Israel mit der Begründung ein, dass Israel einen Völkermord an den Palästinensern in Gaza begehe. Darüber hinaus reichte Südafrika zusammen mit Bangladesch, Bolivien, den Komoren und Dschibuti eine Klage beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zur Untersuchung mutmaßlicher Kriegsverbrechen Israels im Gazastreifen ein.

Wie ist es dazu gekommen? Um diese Frage beantworten zu können, ist es notwendig unterschiedliche Aspekte der Südafrikanischen Politik zu beleuchten.

Der African national congress (ANC) und die aktuelle Lage in Südafrika:

Die politische Partei African National Congress (ANC) regiert Südafrika seit 1994, als ihr damaliger Führer Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt wurde. Der ANC, der 1912 gegründet wurde, ist heute eine ganz andere Partei als unter Mandela. Ramaphosa, ehemaliger Freiheitskämpfer und Gewerkschafter, war ein Schützling Mandelas. Seine Absichten stehen allerdings derzeit auf dem Prüfstand. Das Land steht vor einer überaus wichtigen Wahl am 29. Mai dieses Jahres und mehrere Umfragen haben ergeben, dass die Unterstützung für den ANC zum ersten Mal in der Geschichte unter 50 Prozent liegt.

Die Partei ist verwickelt in schwere Fälle von Korruption und Betrug. Die Regierung verliert dadurch Milliarden, schafft es aber gleichzeitig nicht, dem ein Ende zu setzen, was dazu führt, dass sie seit mindestens 2021 am Rande des Bankrotts steht. Im darauffolgenden Jahr musste der ANC auf ein öffentliches Crowdfunding zurückgreifen, nur um die Gehälter seiner Mitarbeiter bezahlen zu können, die drei Monate lang unbezahlt blieben. Derzeit fehlt das Geld, um die Infrastruktur des Landes instand zu setzen und auszubauen. In den Gemeinden und Provinzen, die der ANC im letzten Jahrzehnt regiert hat, ist Wasserknappheit ein anhaltendes Problem, öffentlichen Krankenhäusern gehen die Medikamente aus, Stromnetze stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Wesentliche Dienstleistungen, die in der Verantwortung des Staates liegen, werden häufig nicht mehr erbracht. Unter der Führung des ANC hat Südafrika in den letzten Jahren die höchste sozioökonomische Ungleichheit weltweit erreicht, sowie die höchste Inzidenz geschlechtsspezifischer Gewalt, häuslicher Gewalt gegen Frauen und extrem hohe Kriminalitäts- und Mordraten. Ebenfalls weist das Land eine der höchsten Zahlen an HIV/AIDS-Fällen auf. Schulen und Straßen verfallen. Inkompetenz der Regierung, Korruption und politische Lähmung haben Südafrika in die Knie gezwungen.

Eine im November 2023 veröffentlichte Studie der Harvard University kam zu dem Schluss Südafrika befände sich vor dem „Zusammenbruch der Staatskapazität" und erklärte, dass es in absehbarer Zukunft kaum Hoffnung auf eine Veränderung gebe. Kein Wirtschaftsplan könnte etwas an dieser düsteren Situation ändern, solange der ANC an der Macht bleibt. Dank der Misswirtschaft und der Korruption des ANC steht Südafrika an der Schwelle zu einem „gescheiterten Staat".

Viele haben darauf hingewiesen, dass der ANC angesichts dieser traurigen Lage Südafrikas nicht in der Lage sei, einen solchen Fall vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen, und fragten sich, wie er sich das überhaupt leisten könne. Um diese Frage beantworten zu können, ist es hilfreich die Beziehung Südafrikas zur Hamas und zu Katar etwas näher zu untersuchen:

Die Vorgehensweise Südafrikas steht im Einklang mit der Tatsache, dass es enge Beziehungen zur Hamas unterhält, obwohl diese von vielen Ländern als Terrororganisation anerkannt wird, sowie auch mit dem Schirmherren der Hamas, dem Staat Katar, kooperiert. Der ANC verzichtete daher auf eine Verurteilung des Angriffs der Hamas vom 7. Oktober. Darüber hinaus unterhielt Südafrika in den drei Monaten seit dem Angriff ständige Kontakte mit der Hamas und mit Katar.

Hamas-Beamter Moussa Abu Marzouq erklärt in seiner Biografie, dass die Bemühungen der Bewegung, ihre Beziehungen zu Südafrika zu stärken, im Jahr 1995 begannen. Das damals gegründete Komitee arbeitete daran, Kontakte zu südafrikanischen Diplomaten im Nahen Osten zu knüpfen, und gründete auch mit der Hamas in Südafrika verbundene Organisationen wie die islamische Al-Aqsa-Organisation und das Middle East Studies Center, um in diesem Bereich Beziehungen zu Muslimen aufzubauen und Unterstützung für die Partei unter südafrikanischen muslimischen Wählern zu gewinnen. Laut Abu Marzouq vermittelte die Hamas auch zwischen Südafrika und Katar und veranlasste sie, ihre Beziehungen zu stärken. Der katarische Botschafter in Südafrika, Salem Abdallah Al-Jaber, überwies laut den Medien zugespielten Dokumenten vom Project Raven im Jahr 2012, 2 Millionen USD an den damaligen südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki, der ebenfalls der ANC-Partei angehörte.

2018 hatte die südafrikanische Regierung ein Memorandum of Understanding mit der Hamas unterzeichnet. Anscheinend war die südafrikanische Regierung nicht besorgt über die völkermörderische Gründungsurkunde der Hamas, die die Zerstörung Israels und die Ermordung aller jüdischen Mitmenschen weltweit fordert. Ebenfalls Teil der Charta der Hamas ist die Beseitigung demokratischer Strukturen sowie die Unterdrückung von Frauen, die beide das genaue Gegenteil der Prinzipien sind, die in der Freiheitscharta des ANC aus dem Jahr 1955 zum Ausdruck kommen.

Am 15. November 2023, etwa sechs Wochen bevor Südafrika seine Klage gegen Israel beim ICC einreichte, stattete der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa Katar seinen ersten Staatsbesuch seit seiner Wahl im Jahr 2018 ab und traf sich mit dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Aal Thani. Bei dem Treffen sagte der Emir, dass der Besuch den gemeinsamen Wunsch der beiden Länder zum Ausdruck bringe, ihre gegenseitigen Beziehungen zu stärken. Berichten der Atari-Presse zufolge diskutierten die beiden über bilaterale Zusammenarbeit, „insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Energie, Investitionen und Bildung". Er verwies auf den Anstieg ihres gegenseitigen Handels in den letzten fünf Jahren, der etwa 3,5 Milliarden USD erreicht habe, und dass die Katar Total Energies eine Partnerschaftsvereinbarung zur Erkundung eines großen Gasfeldes im südafrikanischen Outeniqua-Becken unterzeichnen würde. Er erklärte weiter, dass die beiden Länder über 25 Abkommen und Absichtserklärungen in verschiedenen Bereichen hätten, von denen sich einige in der Endphase befänden. Im Vorfeld des Besuchs erklärte der Sprecher des südafrikanischen Präsidenten, Vincent Magwenya, dass Südafrika im Jahr 2022 Waren und Dienstleistungen im Wert von 206 Millionen USD nach Katar exportiert habe, was es zum fünftgrößten Handelspartner Südafrikas im Nahen Osten mache. Ebenfalls sei Südafrika ein bedeutender Investor in Katar, insbesondere im Petrochemie-Sektor mit einer Gesamtinvestition von rund 8,7 Milliarden USD. Noch während seines Besuchs in Katar gab Ramaphosa bereits die Entscheidung seiner Regierung bekannt, Israel vor den Internationalen Gerichtshof bringen zu wollen.

Ende Dezember 2023 war es soweit, der ANC reichte beim Internationalen Gerichtshof eine Klage gegen Israel ein und in derselben Woche gab die Partei bekannt, dass sich ihre Finanzen „stabilisiert" hätten. Der ANC verriet nicht, wie es ihm gelungen war, seine langjährige Finanzkrise so schnell zu lösen. Bereits lange vor dem Herbst 2023 war der ANC pleite. Nun stehen Wahlen an. Wie führt man einen Wahlkampf durch, wenn man bankrott ist? Doch auf mysteriöse Weise werden plötzlich alle Schulden des ANC beglichen.

Katar sichert durch strategische Käufe seinen Einfluss in der Weltwirtschaft und etabliert sich als Ausrichter von Sport-Events („Sportswashing"). England, Frankreich, die Schweiz, Deutschland und viele andere Länder der westlichen Welt sind Zielländer bei Auslandsinvestitionen. Das Land kauft vorrangig Medien, Infrastruktur und Rüstung. Der Wüstenstaat macht jedoch längst nicht nur durch wirtschaftliches Engagement von sich reden, sondern auch durch Akti­vitäten zur Verbreitung des politischen Islams. Katar hat aus der Finanzierung der Hamas nie ein Hehl gemacht. Zudem wurde Katar immer wieder mit der Finanzierung weiterer isla­mistischer Terrororganisationen wie al-Kaida und deren syrischen Ableger, die al-Nusra-Front, in Verbindung gebracht. Katar füttert den Westen mit der einen Hand und schlägt ihn mit der anderen.

Und so schließt sich der Kreis zu Südafrika, das zu dem Thema Völkermord eine sehr flexible, um nicht zu sagen heuchlerische Einstellung hat.

Südafrika hatte viele Gelegenheiten, Fälle von mutmaßlichem Völkermord anzusprechen, die von mehreren Ländern begangen wurden – von den Schnellen Unterstützungskräften in Darfur, Sudan, die Unterdrückung und Inhaftierung von Uiguren durch die Kommunistische Partei Chinas in Xinjiang und viele Andere – hat dies jedoch abgelehnt. Tatsächlich versäumte Südafrika im Jahr 2015 auch die Festnahme und Überstellung Sudans gestürzten Präsident Omar al-Bashir, der seit den 2000er Jahren vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Vorwürfen des Völkermords in Darfur gesucht wurde, als er das Land besuchte. Im Jänner 2024 – ziemlich zeitgleich als Südafrika vor dem IGH Klage gegen Israel einreichte – empfing Ramaphosa sudanesische Warlords.

Man könnte daher Südafrika durchaus Heuchelei bezüglich des Vorwurfs des Völkermordes vorwerfen. Auch bei diesem Thema können wir in der Geschichte zurückgehen und finden eine Usance des ANC, Außenpolitik gegen Bargeld einzutauschen.

Es gibt diesbezüglich ein Muster, das sich seit Jahrzehnten auf der ganzen Welt wiederholt. Doch während solche „Spenden-Anfragen" des ANC in westlichen Hauptstädten zu gemischten Ergebnissen führten, war die Sache anders, wenn es um Monarchien und Diktaturen in den Entwicklungsländern ging, wo Staats- und Regierungschefs leichter auf ihre Staatskassen zurückgreifen konnten. Zu den großen Spendern, die Berichten zufolge Anfang bis Mitte der 1990er Jahre vom ANC erbeten und erhalten wurden, gehörten Muammar Gaddafi aus Libyen (50 Millionen US-Dollar); Sani Abacha aus Nigeria (50 Millionen US-Dollar); Muhammad Suharto aus Indonesien (60 Mio. USD); König Fahd von Saudi-Arabien (50 Mio. USD); und Taiwan (10 Mio. USD). Viele dieser Spenden wurden einfach in Geldbündeln an den ANC übergeben und in Aktentaschen zurück ins Land geflogen. Mandela und der ANC äußerten ganz offen, dass sie viele dieser Spenden erhalten hatten. Der Generalschatzmeister der Partei räumte in einem Bericht aus dem Jahr 1997 ein, dass der ANC angesichts der Tatsache, dass „die Beiträge unserer Mitglieder vernachlässigbar waren und sind, er für seine Mittel weitgehend auf befreundete Länder und Institutionen angewiesen war. Die meisten dieser Spender kamen aus dem Ausland." Als Gegenleistung für solche Spenden bot der ANC nicht nur eine öffentliche Verbindung zu Mandelas unübertroffenem moralischen Prestige an, sondern auch diplomatische Initiativen. Dies führte dazu, dass die neue ANC-Regierung viele bizarre außenpolitische Positionen einging.

Die ANC-Wahl 1999 wurde Berichten zufolge auch durch Spenden einer Reihe ausländischer Regime finanziert, darunter auch der VR China. Im Jahr 2004 berichteten zahlreiche Zeitungen, dass der ANC beim irakischen Diktator Saddam Hussein Gelder erbeten und sich diese gesichert habe. Später wurde berichtet, dass eine Untersuchung der Vereinten Nationen ergab, dass „der Irak durch diesen illegalen Austausch hoffte, die Außenpolitik des Landes im Vorfeld des Krieges im Irak zu beeinflussen". Vor und während des Krieges leistete Südafrika beträchtliche diplomatische Unterstützung für Husseins Regime.

Die Gesamtheit dieser Berichte, die alle seit langem öffentlich zugänglich sind, zeigt, dass der ANC in der Vergangenheit Wahlkampffinanzierungen von ausländischen Partnern beantragt und ihnen dann im Gegenzug diplomatische Gefälligkeiten gewährt hat, unabhängig von der Menschenrechtsbilanz, oder der ideologischen Ausrichtung des betreffenden Partners.

Zu ANCs jüngster Geldspritze sagt der Journalist Alec Hogg: „Man kann den Zusammenhang zwischen der wundersamen finanziellen Wiederbelebung des ANC und dem plötzlichen Interesse des Landes, einen Waffenstillstand in Gaza zu erzwingen, kaum übersehen." Südafrikanische Kommentatoren und Experten, darunter auch von Menschenrechtsorganisationen, meinen, der Iran oder ein anderer Verbündeter der Hamas wie Katar hätten die südafrikanische Regierung dafür bezahlt und beeinflusst, Israel vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen. Die Regierungspartei Südafrikas, der ANC, stand am Rande des Bankrotts, verkündete jedoch in derselben Woche, in der sie beim Internationalen Gerichtshof Klage gegen Israel einreichte, dass ihre Finanzen nun stabil seien. Südafrika genießt zusätzlich einen Halo-Effekt, der wahrscheinlich nicht zum Tragen gekommen wäre, wenn Iran, Katar, Malaysia oder einer der anderen internationalen Verbündeten der Hamas den Fall eingereicht hätten.

https://www.theafricareport.com/330222/south-africa-cash-scandal-dents-ancs-reputation-ahead-of-election/

https://www.vfplus.org.za/media-releases/medium-term-budget-policy-statement-proves-that-anc-has-run-south-africa-into-bankruptcy/

https://www.bernerzeitung.ch/die-helden-von-einst-haben-suedafrika-ruiniert-150413775910

https://www.da.org.za/2023/12/south-africa-will-not-survive-another-anc-term

https://www.citizen.co.za/news/south-africa/politics/is-iran-funding-the-anc/

https://www.memri.org/reports/south-africas-diplomatic-campaign-against-israel-%E2%80%93-service-hamas-and-cooperation-hamas

https://www.jpost.com/international/article-783558

https://aijac.org.au/fact-sheets/factsheet-south-africa-hamas-and-the-icj-genocide-case-against-israel/

https://www.bbc.com/news/world-africa-67257862

https://www.fdd.org/analysis/op_eds/2024/03/01/hamas-south-african-support-network/

https://www.timesofisrael.com/south-africas-shift-on-israel-from-mandela-era-acceptance-to-genocide-allegations/

https://www.aljazeera.com/features/2024/1/16/altruism-opportunism-or-both-what-pushed-south-africa-to-icj-over-gaza

https://www.derpragmaticus.com/r/katar-westen

https://www.sajr.co.za/ancs-history-of-trading-foreign-policy-for-cash/

https://www.qna.org.qa/en/News-Area/News/2023-11/14/0079-ambassador-of-qatar-to-south-africa-to-qna-president-ramaphosa%27s-visit-to-doha-highlights-strength-of-relations