„Ryūkyū – Königreich zwischen den Mächten“
von Die Fähe
Wie eine Kette liegen die Inseln zwischen China und Japan. Smaragdgrüne Berge steigen aus türkisfarbenem Wasser empor, die Hänge sind von eindrucksvollen Steinfestungen geprägt, die als Zeugnisse der Zeit dienen, in der Kriegerfürsten diese Küsten kontrollierten. Das Zentrum dieser Region liegt im Ostchinesischen Meer, wo einst ein bedeutendes Königreich existierte, Ryūkyū. Es entwickelte sich zu einem wichtigen Handels- und Kulturzentrum, dessen Wohlstand maßgeblich von den engen Verbindungen zum chinesischen Kaiserreich beeinflusst wurde. Die Auswirkungen militärischer Konflikte mit Japan blieben für dieses Königreich nicht folgenlos, führten jedoch nicht unmittelbar zu seinem Untergang. Dank seiner strategischen Lage und diplomatischer Geschicklichkeit etablierte sich dieses Königreich als zentrales Bindeglied im Ostchinesischen Meer. Sein Ende ist letztlich darauf zurückzuführen, dass es von Großmächten umgeben war, die mehr als nur Tribut und Handel anstrebten.
Der Ryūkyū-Archipel besteht aus einer Inselkette, die sich vom südlichsten Punkt der japanischen Hauptinseln bis nach Taiwan erstreckt. Im Norden grenzen die japanischen Inseln an, südwestlich liegt Korea, während das chinesische Festland weiter westlich verortet ist. Insgesamt umfasst der Archipel über 160 Inseln und bildet somit einen strategischen Knotenpunkt für Handelsrouten zwischen China und anderen bedeutenden Regionalmächten. Über Jahrhunderte hinweg durchquerten verschiedene maritime Gruppen dieses Gebiet und prägten den Austausch im Chinesischen Meer.
Die Bevölkerung der frühen Gesellschaft der Ryūkyū-Inseln setzte sich hauptsächlich aus Menschen koreanischer und japanischer Herkunft zusammen, wobei bereits ab circa 3000 v. Chr. Siedlungsbewegungen aus diesen Regionen stattfanden. Vor der politischen Vereinigung waren die Inseln dünn besiedelt und wurden hauptsächlich von lokalen Gemeinschaften bewohnt. Ab dem 11. Jahrhundert kam es zu einer Migrationsbewegung, insbesondere aus dem Norden, die die kulturelle Zusammensetzung der Bevölkerung veränderte. Der Muscheltierhandel sowie die Ausweitung der Siedlungsgebiete führten dazu, dass Menschen vor allem aus den südlichen Regionen Japans auf die Ryūkyū-Inseln kamen und ihre Kultur und Technologie einbrachten. Im Austausch und Zusammenleben mit den ansässigen Gemeinschaften entstand allmählich eine eigenständige Ryūkyūanische Identität.
Die kontinuierliche Migration aus dem Norden setzte sich auch in den folgenden Jahrhunderten fort und führte zu vielfältigen Einflüssen, insbesondere im 14. Jahrhundert. Damals verursachten politische Unruhen in Japan einen starken Zustrom sogenannter Wokou-Gruppen – häufig als Piraten bezeichnet- jedoch oftmals ebenso als Händler, Schmuggler oder Seefahrer tätig. Diese Gruppen besiedelten weite Teile der japanischen Küstenregionen und starteten regelmäßig Expeditionen nach Korea, China sowie zu den südlicher gelegenen Ryūkyū-Inseln. Ihre Ankunft beeinflusste maßgeblich die soziale und kulturelle Entwicklung der Inselgesellschaften. Im Laufe der Zeit entstanden auf den Inseln kleinere Machtzentren.
Die politische Struktur der Inseln vor dem 14. Jahrhundert ist jedoch nur bruchstückhaft überliefert. Zunächst existierten drei Königreiche: Hokuzan, Chūzan und Nanzan. Diese Königreiche kämpften um die Vorherrschaft, bis König Shō Hashi von Chūzan im Jahr 1429 siegreich war, die Insel vereinte und das Königreich Ryūkyū gründete, das dann 450 Jahre lang bestand.
Eine interessante Besonderheit dieser Gesellschaft ist, dass es auf den Inseln nicht nur mächtige Männer, sondern auch sehr einflussreiche Frauen gab. Besonders hervorzuheben ist die Institution der Noro-Priesterinnen, wie beispielsweise jene von Nakijin im Norden der Amami- Ōshima-Insel, der größten Insel des Ryūkyū-Archipels. Diese Priesterin verfügte über große Autorität und hatte erheblichen spirituellen Einfluss, was sie zur bedeutendsten Frau ihrer Zeit machte. Ihre herausragende Rolle resultierte unter anderem aus ihrer Verbindung zu den Naturkräften, ein Aspekt, der in einer von Landwirtschaft und Seehandel geprägten Gesellschaft wesentlich zum Wohlstand und Wohlergehen der Gemeinschaft beitrug. Dieses Merkmal blieb für die Ryūkyū-Inseln noch längere Zeit prägend.
Ab dem 14. Jahrhundert verstärkte China seinen Einfluss auf die Ryūkyū-Inseln und trug entscheidend zu deren wirtschaftlichem Wachstum bei. Nach dem Niedergang des Mongolischen Yuan-Reichs führte Zhu Yuanzhang eine Rebellion an und gründete im Jahr 1368 die Ming-Dynastie. Bekannt als Kaiser Hongwu verfolgte er das Ziel, die chinesische Herrschaft und eine konfuzianisch geprägte Ordnung wiederherzustellen sowie die Kontrolle über die Küstenregionen und den Handel auszubauen. Der Beginn der Ming-Dynastie stellte einen bedeutsamen Wendepunkt für die Ryūkyū-Inseln dar: Die neue chinesische Regierung strebte danach, Stabilität und Ordnung zu gewährleisten und Maßnahmen gegen die Wokou-Piraterie einzuleiten. Da Japan als Ursprung zahlreicher Piraten schwer zu kontrollieren war, konzentrierte China seine Aufmerksamkeit zunehmend auf die strategisch bedeutenden Ryūkyū-Inseln.
Die Ming betrachten die Inseln als Art Schlüssel um diese Wokou Bedrohung zu kontrollieren und vor allem auch um ihren Einfluss in der Region auszubauen. Mit dem Prinzipien der Konfuzianischen Staatskunst im Gepäck streben die Ming-Herrscher eine hierarchische Weltordnung an. Die Ryūkyū-Inseln werden als idealer Partner angesehen, um das Ostchinesische Meer zu befrieden und die gesamte Region in das Tributsystem einzubinden. Die Politik der Ming-Dynastie erweist sich dabei als geschickt: Sie erkennt die lokalen Herrscher Ryūkyūs als Könige an und gewährt ihnen im Austausch für Loyalität und Zusammenarbeit Privilegien. So werden mehrere Ziele gleichzeitig erreicht: Durch die Integration der Ryūkyū-Herrscher in das Tributsystem können die Aktivitäten der Wokou kanalisiert und in einen wirtschaftlich vorteilhaften Handel umgewandelt werden.
Die restriktiven Seeverkehrssperren, welche die Ming selbst erlassen haben und die privaten chinesischen Händlern den Außenhandel untersagen, lassen sich durch die Einbindung Ryūkyūs als Tributstaat umgehen. Die Ming erhalten so indirekt Zugang zu wertvollen Gütern aus Südostasien über die Tribute Ryūkyūs. Darüber hinaus ermöglicht die Eingliederung der Ryūkyū-Inseln in das Tributsystem eine Ausweitung des politischen und kulturellen Einflusses der Ming im gesamten Ostchinesischen Meer und trägt zur Festigung ihrer Vormachtstellung in Asien bei. Trotz formaler Eigenständigkeit war das Königreich Ryūkyū somit stark von China abhängig.
Für das Königreich Ryūkyū begann eine Phase besonderer Privilegien. Sie waren von vielen der strengen Handelsvorschriften ausgenommen, die für andere Länder galten. Die sogenannten Tributzahlungen waren in der Praxis oft als Handelsmissionen ausgestaltet, da sie einen wirtschaftlichen Anreiz boten – man brachte beispielsweise als Tribut bezeichnete Güter nach China und erhielt im Gegenzug Geschenke aus der Ming-Dynastie. Dieses System war für viele Staaten so profitabel, dass die Häufigkeit der Tributzahlungen auf etwa alle drei Jahre begrenzt wurde. Für Ryūkyū jedoch galten abweichende Regelungen.
Ab 1372, als die erste Ming-Gesandtschaft Ryūkyū besuchte, wurden bis 1398 durchschnittlich zwei Tributgesandtschaften pro Jahr verzeichnet – mehr als in jedem anderen Tributstaat der Region. Diese bevorzugte Behandlung war Teil der Strategie der Ming-Dynastie, den Tributhandel attraktiver zu gestalten als Piraterie oder Schmuggel. Auf diese Weise sicherte sich die Ming-Regierung die Kooperation Ryūkyūs, das gleichzeitig als logistisches Drehkreuz diente. Der wirtschaftliche Anreiz und das Versprechen politischer Anerkennung durch den Ming-Hof erwiesen sich als äußerst attraktiv für die lokalen Herrscher.
Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts erstreckte sich die Herrschaft der Ryūkyū über sämtliche Inseln des Archipels, einschließlich Kikai, das ebenfalls in das Königreich integriert und erobert wurde. Das Königreich wurde zu einem bedeutenden Knotenpunkt im Ostchinesischen Meer, weshalb es auch gerne mit Venedig verglichen wird, das zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert seine Hochblüte erfährt.
Das neue Königreich reichte von Kikai und den Amami-Inseln im Nordosten bis Yonaguni im Südwesten und bildete somit ein eigenständiges Imperium mit der Hauptstadt Shuri als Verwaltungszentrum. Die Sicherung der Herrschaft erfolgte überwiegend durch militärische Expeditionen sowie durch zahlreiche Beamte, die administrative Aufgaben wahrnahmen. Aufgrund der geografischen Ausdehnung über viele Inseln gestaltete sich die Kontrolle über das Reich schwierig; lokale Krisen erforderten regelmäßig die Aufmerksamkeit des Herrschers. Die Bürokratie wurde ausgebaut, um die königliche Autorität zu stärken und den wichtigen Tributhandel mit China effizienter zu organisieren. Auch im religiösen Bereich wurden Maßnahmen ergriffen: Zusammen mit seinem Nachfolger etablierte der Herrscher eine religiöse Hierarchie, die darauf abzielte, die königliche Macht weiter zu festigen. Im Zentrum dieser Hierarchie stand die Hohepriesterin, die als Verkörperung einer Schutzgöttin galt. Durch die Einbindung der Noro-Priesterinnen wurde zudem eine Verbindung zur frühen Geschichte der Inseln geschaffen, was zur Legitimation der Herrschaft beitrug.
Die Schiffe aus Ryūkyū, oft im chinesischen Stil gebaut und mit Besatzungen aus Ryūkyū, Japan und China versehen, legten weite Strecken zurück und fungierten als Verbindungsglied zwischen verschiedenen Regionen. Der Hafen von Naze auf Amami entwickelte sich dabei zum zentralen Umschlagplatz für chinesische Waren, insbesondere für Schwefel – ein wichtiger Bestandteil zur Herstellung von Schießpulver- wie auch für Pferde. Im Gegenzug erhielt Ryūkyū Seidenstoffe, Heilmittel, Farbstoffe, Wollstoffe sowie die in jener Zeit begehrte Kupferwährung der Song-Dynastie, die sowohl in regionalen Wirtschaftsräumen als auch in Japan eine zentrale Rolle spielte.
Die Handelsrouten des Königreichs Ryūkyū reichten darüber hinaus bis nach Siam (dem heutigen Thailand), Java, Sumatra und Patani, einem wichtigen Stützpunkt insbesondere für die Portugiesen zu jener Zeit. Importiert wurden vor allem Sappanholz zur Färbung, Gewürze und Elfenbein – Luxusgüter, die in Japan hochgeschätzt wurden und dem Königreich erhebliche Einnahmen sicherten.
Die Beziehungen zu Japan gestalteten sich komplex: Während es offizielle Handelskontakte zu mächtigen Daimyō, also lokalen Fürsten, gab, erfolgte der Großteil des Handels über private Kaufleute. Chinesische Seide, Süßholz und die erwähnte Kupferwährung gelangten so nach Japan. Das weitreichende Handelsnetzwerk, das sich über das gesamte Ostchinesische Meer erstreckte, brachte dem Königreich Ryūkyū beachtlichen Wohlstand und etablierte es als wichtige maritime Macht.
Ab dem frühen 16. Jahrhundert existierte ein vereinigtes Königreich Ryūkyū in einem Tributverhältnis zur Ming-Dynastie. Der Herrscher, der wahrscheinlich den größten Einfluss auf die Entwicklung Ryūkyūs hatte, war König Shō Shin, dessen Regierungszeit als die goldene Ära des Königreichs gilt. Unter seiner Führung erlebte Ryūkyū tiefgreifende Veränderungen, die die Strukturen des Reiches nachhaltig prägten und bis zu dessen Ende Bestand hatten. Insbesondere die territoriale Expansion wurde maßgeblich durch Shō Shin vorangetrieben. Er vereinigte die Inseln unter einer zentralen Verwaltung und errichtete ein effizientes Beamtenwesen, um dem Tribut- und Handelssystem gerecht zu werden. Die Hauptstadt Shuri wurde zum politischen und kulturellen Zentrum des Königreichs, und der Hafen von Naze avancierte zum wichtigsten Umschlagplatz im Ostchinesischen Meer.
Im 16. Jahrhundert begann in Japan eine Phase politischer Einheit unter Toyotomi Hideyoshi, Feldherr und Minister, die jedoch in der Invasion Koreas mündete. Es gelang Ryūkyū zwar, sich größtenteils aus dem Konflikt herauszuhalten, bei dem sich China auf die Seite Koreas schlug, doch die Ereignisse setzten langfristige Veränderungen in Gang.
Der Imjin-Krieg dauerte sechs Jahre, in denen Japan immer weiter ins Hintertreffen geriet und schließlich eine herbe Niederlage einstecken musste. Die Kosten der Auseinandersetzung waren immens. Auch ein Regionalfürst im Süden von Japan, der Daimyō von Satsuma aus dem mächtigen Shimazu-Klan, hatte sich verausgabt. Einen Ausweg aus seiner Misere fand er elf Jahre später im reichen Nachbarn im Süden: Der Shimazu-Klan eroberte die nördlich gelegenen Inseln des Reichs und machte Ryūkyū zu seinem Vasallen.
Diese Invasion hat gravierende Folgen für die Autonomie Ryukus. Das Königreich muss die Amami Inseln abtreten und der König muss einen Treueeid gegenüber dem Satsuma Daimyō leisten. Ryūkyū gerät in eine doppelte Abhängigkeit und steht jetzt vor einer recht komplexen Herausforderung. Denn das kleine Inselreich stand nun zwar de facto unter Kontrolle Japans, blieb aber weiterhin Tributstaat Chinas und hatte damit weiterhin Zugang zum chinesischen Handelsnetz. Japan erhoffte sich vom Anschluss Ryūkyūs an Satsuma eine Hintertür in den Handel mit China, da es unter der Sakoku-Politik (Politik der Abschottung) stand. Damit das so blieb, war eine komplexe Politik der Verschleierung nötig: Gegenüber China musste Ryūkyū den Anschein der Unabhängigkeit wahren, während es heimlich Zahlungen an Japan leistete und wirtschaftlich ausgebeutet wurde.
Diese doppelte Abhängigkeit hatte tief greifende Auswirkungen auf die Kultur Ryūkyūs. Unter japanischer Kontrolle wurde eine Politik der »Entjapanisierung« durchgesetzt, um die japanische Kultur aus dem öffentlichen Leben zu drängen, zugleich wurden chinesische Einflüsse gefördert, um gegenüber China glaubhaft die Unabhängigkeit Ryūkyūs darzustellen. Die Elite des Königreichs übernahm chinesische Namen, Sprache und Bräuche, und das Viertel Kumemura in der Hauptstadt Shuri wurde ein Zentrum chinesischer Gelehrsamkeit. Jegliche Anzeichen japanischen Einflusses, die die Beziehungen zu China gefährden könnten, müssen unterdrückt werden. Diese Isolation führt wiederum zur Entstehung einer völlig eigenständigen, hybriden Kultur Ryūkyūs, die sich relativ eindeutig von der Kultur der japanischen Inseln abhebt und die Elemente aus Japan, China und lokalen Traditionen integriert.
Dieses ausgeklügelte System der doppelten Abhängigkeit funktionierte über einen längeren Zeitraum ziemlich gut, da die Ming-Dynastie zunächst nicht bemerkte, dass sie es tatsächlich mit einem Marionettenkönig zu tun hatte.
Exkurs: Karate entstand im 15. Jahrhundert auf den Ryūkyū-Inseln durch eine Verbindung einheimischer Selbstverteidigungstechniken (Tōde) mit dem chinesischen Kung Fu (Quan-fa). Besonders die Lehren des Shaolin-Tempels, die auf die Insel gelangten, beeinflussten das Tōde. Nach der Eroberung der Ryūkyū-Inseln durch den Shimazu-Clan und dem Verbot des Tragens von Waffen wurde der Begriff Kara-Te („leere Hand") geprägt. Infolgedessen wurden die lokalen Kampftechniken, insbesondere Tōde, verdeckt weiterentwickelt. Im 20. Jahrhundert gelangte Karate auf die japanische Hauptinsel und verbreitete sich anschließend international. Die Entwicklung dieser Kampfkunst fand vor allem unter Angehörigen der Ryūkyūanischen Aristokratie statt um den König zu schützen.
"Bauern-Karate": Dies bezieht sich nicht auf den Ursprung des Karate durch Bauern, sondern auf die Kampfkunst des Kobudō, bei der traditionelle Bauernwaffen eingesetzt werden, zurückzuführen auf das Verbot des Tragens von Waffen. Es bezieht sich auf die Verwendung von landwirtschaftlichen Werkzeugen als Waffen im Kobudō, einer Kampfkunst, die eng mit dem Karate verbunden ist, die die Verwendung von Waffen beinhaltet, die ursprünglich landwirtschaftliche Geräte waren, wie z.B. der Bō (Langstock), Sai (Dreizack), Nunchaku (Dreschflegel), Kama (Sichel) und Tonfa (Schlagstock).
Im 19. Jahrhundert begann ein tiefgreifender Wandel verbunden mit der Öffnung Japans. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts endete die Edo-Zeit, in der es unter der Herrschaft der Tokugawa-Shogune zu einer kulturellen Blüte gekommen war. Zugleich wurde Japan gezwungen, seine rund 200 Jahre währende Politik der rigiden Abschottung aufzugeben. Die geopolitischen Machtverhältnisse verschoben sich erneut. Die neue Meiji-Regierung Japans strebte eine klare territoriale Konsolidierung an, und Ryūkyū, dessen doppelte Abhängigkeit zunehmend unhaltbar wurde, geriet ins Visier. 1872 erklärte Japan das Königreich Ryūkyū, einseitig zum „Ryūkyū Han", einem Feudalgebiet Japans. 1879 wurde das Königreich endgültig annektiert, in die Präfektur Okinawa umgewandelt und der abgesetzte König nach Tokyo verbannt. Damit endete die jahrhundertelange Geschichte Ryūkyūs als eigenständiges politisches Gebilde.
Die Annexion brachte Modernisierung, aber auch eine drakonische Assimilationspolitik mit sich. Ryūkyūanische Sprachen und Bräuche wurden verboten, und die Bevölkerung musste ihre Namen und Identität japanisieren. Diese Maßnahmen führten zu einem Verlust der kulturellen Eigenständigkeit, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind.
Die Geschichte Ryūkyūs ist eine Geschichte von Anpassung und Überleben inmitten großer Mächte. Jahrhundertelang nutzte das Königreich seine strategische Lage und Diplomatie, um sich zu behaupten und wirtschaftlichen Wohlstand zu erlangen. Doch der Druck von außen, insbesondere durch Japan, führte letztlich zu seinem Ende.
Heute zeugen die kulturellen Traditionen und historischen Stätten Okinawas von der einstigen Bedeutung des Königreichs Ryūkyū. Aber die Nachwirkungen der japanischen Annexion und die Belastungen durch die bis heute andauernden US-Militärpräsenz seit dem Zweiten Weltkrieg prägen das Schicksal der Region weiterhin.
Vom 1. April bis 22. Juni 1945 trafen US-amerikanische und japanische Truppen bei Okinawa aufeinander. In über 80 Tagen wurde die Insel massiv bombardiert; etwa ein Drittel der Bevölkerung kam ums Leben, große Teile der Infrastruktur wurden zerstört. Während Japan 1952 souverän wurde, blieb Okinawa unter US-Herrschaft. Der "Taifun aus Stahl" der USA vernichtete fast alle Siedlungen, 94.000 Insulaner starben. Danach errichtete das US-Militär mit "Bajonett und Bulldozer", wie die Bewohner sagten, auf den besten Flächen seine heute 88 Basen. Okinawa stand für 27 Jahre unter US-Besatzung, was das politische, wirtschaftliche und soziale Gefüge grundlegend veränderte. Viele US-Militärbasen entstanden, Gemeinden wurden verdrängt, Landzugang und Ressourcen eingeschränkt. Die Bevölkerung litt unter Gewalt. Auch nach der Übergabe der Verwaltungshoheit 1972 blieben die Stützpunkte weiter im Besitz der USA und damit verbunden US-Militärpräsenz mit Folgen wie Lärm, Umweltschäden und Fällen sexueller Übergriffe.
De facto nutzen die USA die Insel als stationären Flugzeugträger. Allein Kadena als größte US-Luftwaffenbasis in Asien verzeichnet jährlich 70.000 Starts und Landungen. Außer durch den Fluglärm löst das US-Militär durch Verkehrsunfälle, Schlägereien und Verbrechen immer wieder Proteste der Einheimischen aus. Sie machen die Amerikaner nicht nur dafür verantwortlich – allein 43 Flugzeugabstürze seit 1972 – sondern auch für Diebstähle und Gewalttaten, die aber nicht der japanischen, sondern der amerikanischen Gerichtsbarkeit unterliegen und – wenn überhaupt – sehr milde geahndet werden. Unter den mehr als 100 Vergewaltigungen überwiegend junger Frauen und Kinder löste ein Fall helle Empörung aus. 1995 war ein 12-jähriges Mädchen von drei Soldaten brutal missbraucht worden. Das war der Auslöser für den organisierten Widerstand der Inselbevölkerung gegen die US-Stützpunkte. Die Vergewaltigunghat sich in das kollektive Gedächtnis eingegraben.
Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die militärische Bedeutung von Okinawa ist zuletzt gewachsen. In der neuen Indopazifik-Strategie der USA, die Chinas Großmachtstreben eindämmen soll, spielt die Insel eine wichtige Rolle. Gegen die Atom- und Raketenrüstung von Nordkorea und einen Angriff von China auf Taiwan dient die Insel als US-Vorposten in Asien. Taiwan liegt nur 600 Kilometer westlich von Okinawa.
Bei der Bevölkerung Okinawas regt sich zunehmend Protest gegen die amerikanischen Soldaten. Die Japaner wollen sich nicht länger wie Fremde im eigenen Land fühlen.
Heute zählt Okinawa zu den ärmsten Präfekturen Japans, die Armutsrate liegt bei 35 %, doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Dies ist das bedrückende Ende eines ehemals wohlhabenden Königreichs mit einzigartiger Identität im Ostchinesischen Meer. Der Name Okinawa ist vielen bekannt, die dahinterstehende Geschichte des Königreichs über mehrere Jahrhunderte hinweg jedoch oft weniger. Okinawa bleibt ein Ort, an dem Geschichte, Kultur und Politik auf einzigartige Weise miteinander verflochten sind.https://www.arte.tv/de/videos/126606-000-A/japan-das-koenigreich-ryukyu/
https://samurai-chronicles.fandom.com/fr/wiki/Royaume_de_Ryukyu
https://samurai-archives.com/wiki/Kingdom_of_Ryukyu
https://www.morethantokyo.com/okinawa-the-ryukyu-kingdom/
https://www.deutschlandfunk.de/us-airbase-okinawa-japaner-fuehlen-sich-wie-fremde-im-100.html
https://taz.de/Protest-gegen-US-Praesenz-in-Okinawa/!5854603/
https://www.dw.com/de/50-jahre-okinawa-r%C3%BCckgabe-entt%C3%A4uschte-hoffnungen/a-61784343
https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/okinawa-streit-zwischen-praefektur-und-zentralregierung-nach-versuchter-vergewaltigung-343549/