Vision 2030 – wir werden uns warm anziehen müssen
Thomas Bachheimer
Vielen von uns war Saudi Arabien bisher ja nur als Öl-Land Nummer 1 bekannt – ansonsten wussten wir nicht viel über den Wüstenstaat. Einige kennen vielleicht noch das Projekt NEOM – the Line, dann ist aber zumeist schon Schluss mit dem Wissen über das einst sehr verschlossene Königreich. Dass eben diese Line (für sich gesehen schon ein gigantisches Projekt) nur ein kleiner Teil eines gigantischen Zukunftsprojektes, wahrscheinlich des ambitioniertesten Zukunftsprojektes der Menschheitsgeschichte ist, wissen die allerwenigsten.
Vor 5 Jahren gab der Kronprinz von Saudi Arabien, Mohammed Bin Salam anlässlich einer Wirtschaftskonferenz ein Versprechen ab, welches im Westen weitestgehend ignoriert wenn nicht sogar belächelt wurde. Der Kronprinz sagte damals wortwörtlich „Ich werde sicher nicht sterben, ehe die Golfregion zum globalen Industriestandort Nr. 1 geworden ist.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die „Vision 2030" konzipiert. Ein Programm, welches die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, aber auch jene in vielen anderen Lebensbereichen neu festlegen sollte und dadurch eine Vielzahl von Chancen der künftigen Entwicklung für Saudi Arabiens aber auch jene seiner Nachbarstaaten bieten sollte.
Vision 2030 ist ein mehr als ehrgeiziges Projekt, das darauf abzielt, die Wirtschaft des Landes zu diversifizieren und unabhängiger vom Öl zu machen. Der Kronprinz selbst hat eine aktive Rolle bei der Umsetzung dieses Programms übernommen und trägt zur Förderung der Wirtschaft in der Region bei. Er hat offensichtlich die Notwendigkeit erkannt, seine Wirtschaft zu diversifizieren, um langfristige Nachhaltigkeit und Wachstum zu gewährleisten und so attraktiver für Unternehmensansiedelungen zu sein und damit einhergehend neue Arbeitsplätze und neue Lebensräume für arbeits- und innovationsfreudige Menschen aus aller Welt zu kreieren.
Und obwohl MBS öfters explizit erwähnt, dass diese Initiative den gesamten Nahen Osten in die Zukunft führen sollte, beobachtet man in der Golfregion die Entwicklungen mit Argusaugen. Saudi Arabien verfügt über (fast unendliche) enorme Landflächen, Küstenlinien, Energie aber auch das wichtigste in unseren Zeiten, Geldvorräte.
Einheimische in Dubai berichteten mir, dass man fürchtet in 15 Jahren, den Ruf als Hot-Spot, Ideengeber des neuen Modernismus bzw. modernste Stadt der Welt nach Saudi Arabien abgeben zu müssen. Die schier unglaubliche Menge an zur Verfügung stehenden Kapitals und die Entschlossenheit des Kronprinzen lehrt so manchen Staatenlenker der Region das Fürchten. Was wiederum diese Region nur stärken kann, denn nicht nur Bachheimer-Leser wissen: Konkurrenz ist eine der Grundbedingungen für einen Wirtschaftsraum, um sich erfolgreich zu entwickeln.
Durch
- die Diversifizierung der Wirtschaft,
- den Ausbau des privaten Sektors,
- die Förderung des Tourismus,
- die Unterstützung von Innovationen und
- die Verbesserung der sozialen Entwicklung
- sowie gesellschaftspolitischer Reformen
soll diese Weichenstellung in die Zukunft und gesichert werden.
Eine der Hauptinitiativen von Vision 2030 ist die Förderung des privaten Sektors und die Steigerung der Produktivität in nicht-ölbezogenen Branchen. Das Königshaus selbst arbeitet als Leitstelle eng mit lokalen Unternehmen zusammen, um Investitionen anzuziehen und die Industrie im Nahen Osten zu stärken. Durch die Schaffung von Partnerschaften und Joint Ventures sollen neue Arbeitsplätze geschaffen und das Unternehmenswachstum gefördert werden.
Ein weiterer Schwerpunkt des Programms ist die Entwicklung des Tourismussektors. Saudi-Arabien verfügt wie die gesamte Region über ein reiches kulturelles Erbe und hat auch viele natürliche Sehenswürdigkeiten, die Touristen anziehen können, vorzuweisen. Dieser Sektor wurde von der Vorgeneration weitestgehend ignoriert. Alleine schon die Schwierigkeiten beim Erlangen von Touristen-Visa hat natürlich viele potentielle Touristen in den letzten Jahrzehnten abgeschreckt.
Darüber hinaus hat Saudi Arabien das Ziel, eine innovative und wissensbasierte Wirtschaft aufzubauen. Der Staat (defacto das Königshaus) trägt zur Förderung von Innovationen bei, indem es in Forschung und Entwicklung investiert und Partnerschaften mit akademischen Einrichtungen und Technologieunternehmen eingeht. Durch den Aufbau einer starken Innovationskultur kann Saudi-Arabien neue Industrien und Geschäftsmöglichkeiten schaffen.
Erwähnenswert hierbei ist die Tatsache, dass der Staat 50 % des Investitionsvolumens als vergünstigten 7-Jahres-Kredit jedem innovativen und nachhaltigem Ansiedelungs-Interessenten anbietet. Sollte das angesiedelte Unternehmen es nach 7 Jahren noch nicht geschafft haben, den Kredit zu bedienen, gibt's Ausnahmeregelungen, die weitere 7 Jahre ermöglichen.
War es, meines Wissens nach (und ich lass' mich gerne korrigieren), bis vor wenigen Jahren nur schwer möglich, eine Firma zu begründen ohne dass nicht ein Saudischer Staatsangehöriger mit an Bord war, so wurde auch diese Schranke fallengelassen. Selbst wenn man einen Kredit aufnimmt, braucht man keinen Saudischen Staatsbürger, in welcher Form auch immer, in der Firma mitwirken zu lassen – so zumindest das Versprechen.
Ein weiteres wichtiges Ziel von Vision 2030 ist die Förderung der sozialen und kulturellen Entwicklung. Das Königreich engagiert sich in sozialen Projekten und trägt zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen im Nahen Osten bei. Durch die Unterstützung von Bildungs- und Gesundheitsprogrammen trägt das Land zur Stärkung der Gesellschaft bei und fördert die soziale Gerechtigkeit. Der Führerschein für Frauen und eine geplante Stadt, die auf die Bedürfnisse von Frauen und Kindern abgestimmt ist, legen beeindruckend Zeugnis über den frischen Wind, der durchs Wüstenland weht, ab.
Um diese Ziele zu erreichen, hat Saudi Arabien auch Reformen im Bereich der Regierungsführung eingeführt. Das Königshaus unterstützt die Regierung bei der Umsetzung von Transparenz- und Rechtsstaatlichkeitsreformen, um ein attraktives Geschäftsumfeld für in- und ausländische Investoren zu schaffen. Dies fördert das Vertrauen in die saudische Wirtschaft und trägt zur Schaffung eines nachhaltigen Wachstumsklimas bei.
Stellvertretend für die vielen Einzelprojekte sollen hier 7 Projekte erwähnt sein, die allesamt bis zum Stattfinden der asiatischen Winterspiele 2029 in Saudi Arabien abgeschlossen sein sollten.
1. NEOM: ist ein ehrgeiziges Megaprojekt, das den Bau einer futuristischen, grenzüberschreitenden Stadt in der nordwestlichen Region Saudi-Arabiens vorsieht. Es soll ein Zentrum für Innovation, Technologie und nachhaltige Entwicklung werden und den Tourismus sowie Investitionen in verschiedenen Sektoren fördern.
2. Red Sea Tourism Project: Dieses Projekt zielt darauf ab, die Küstenregion am Roten Meer zu entwickeln und zu einem führenden Reiseziel für internationale Touristen zu machen. Es umfasst die Entwicklung von Luxusresorts, Stränden, Naturschutzgebieten und Unterhaltungseinrichtungen.
3. Qiddiya: ist ein Unterhaltungs- und Freizeitprojekt, das in der Nähe der Hauptstadt Riad entsteht. Es soll eine vielfältige Palette an Attraktionen bieten, darunter Vergnügungsparks, Sportstätten, Kulturstätten, Konzertarenen und vieles mehr.
4. Red Sea Islands: Das Projekt der Roten Meerinseln zielt darauf ab, Inseln im Roten Meer zu entwickeln und zu touristischen Zielen zu machen. Hier sollen Luxusresorts, Wassersportmöglichkeiten und Naturschutzgebiete entstehen.
5. King Salman Energy Park (SPARK): SPARK ist ein Industrie- und Energiepark, der darauf abzielt, das Wachstum des Energiesektors zu unterstützen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Hier sollen Unternehmen der Energiebranche angesiedelt werden, um Synergien zu schaffen und Innovationen zu fördern.
6. The Amaala Project: Das ist ein weiteres Luxus-Tourismusprojekt, das eine Küstenregion am Roten Meer umfasst. Es wird als ein exklusives Reiseziel für Wellness, Kunst, Kultur und Unterhaltung positioniert.
7. Entertainment City: Dieses Projekt umfasst den Bau von Entertainment-Städten in verschiedenen Teilen Saudi-Arabiens. Ziel ist es, das kulturelle und Unterhaltungsangebot im Königreich zu erweitern und internationale Veranstaltungen und Attraktionen anzuziehen.
Insgesamt bietet das Wirtschaftsprogramm Vision 2030 von Saudi-Arabien eine Vielzahl von Chancen für das Land selbst ABER auch für seine Nachbarstaaten. In seinem Versprechen hat MBS ausdrücklich alle Nachbarn inklusive Qatar, mit dem man sich momentan ja nicht so gut versteht, erwähnt und auch gemeint: „Der Nahe Osten werde das Neue Europa sein."
Durch diese für diesen Raum erstmalige Diversifizierung der Wirtschaft, den Ausbau des privaten Sektors, die Förderung des Tourismus, die Unterstützung von Innovationen und die Verbesserung der sozialen Entwicklung und Zuzug von Millionen von Menschen aus anderen Kulturkreisen werden neue Geschäftsmöglichkeiten geschaffen, die regionale Wirtschaft gestärkt aber auch das gesellschaftliche Leben wird sich in Art und Dimension verändern, wie es die Menschheit (vor allem in dieser Region) zuvor noch kaum erlebt hat.
Dass Saudi Arabien rechtzeitig ein Beitritts-Gesuch zu den BRICS-Staaten abgegeben hat, dass diese dann auch tatkräftig an diesem Projekt mitarbeiten werden, macht die Sache für die derzeit bestehenden Wirtschaftsräume jetzt auch nicht unbedingt einfacher. Vor allem Zentral-Europa und die USA werden auf Grund der eigenen suizidären Bestrebungen und des Aufkommens eines neuen Mitbewerbers, der noch dazu mit
- geographischer Lage zwischen Europa und Asien
- mit fast unbeschränkten finanziellen Ressourcen
- fast unbeschränkten Flächen für Ansiedelung von Unternehmen und Menschen
- mit lächerlich billiger Energie
- und der neuen Allianz zu den BRICS-Staaten,
vor Herausforderungen gestellt werden, die man auch noch nie zuvor gesehen hat.
Klimakrise hin oder her – wir werden uns warm anziehen müssen, sehr warm.