Zum Inhalt und Umfang der Meinungs- und Medienfreiheit
Von Dr.Dr. Heinz-Dietmar Schimanko
Oft bestehen Unklarheiten über die rechtliche Zulässigkeit von mündlichen oder geschriebenen Äußerungen, die für andere Menschen nachteilig sein können, unter anderem im Zusammenhang mit der Kritik an Politikern. Es erscheint daher angebracht, sich zur Orientierung die Grundprinzipien nach der dazu bestehenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (OGH) bewußt zu machen, worin auch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) einbezogen werden.
Tatsachenbehauptungen
Unterschieden wird zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Eine Tatsachenbehauptung ist eine Äußerung mit Angaben, die darauf geprüft werden können, ob sie wahr oder falsch sind. "Tatsachen" sind Umstände, Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm anhand bestimmter oder doch zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit überprüfbaren Inhalt (OGH RIS-Justiz RS0032212).
Sofern ihre objektive Richtigkeit überprüfbar ist, sind auch bewertende Einschätzungen (wie z.B. die auf einer Online-Plattform erfolgende Beurteilung der Dienstleistungen eines Unternehmers) Tatsachenbehauptungen gleichzusetzen (OGH RIS-Justiz RS0032270).
Der Begriff der "Tatsachenbehauptung" ist weit auszulegen; als Tatsachenmitteilungen gelten auch Verdächtigungen oder das Weglassen aufklärender Umstände, wodurch der Sachverhalt so entstellt wird, daß die Äußerung geeignet ist, den Adressaten in einem wichtigen Punkt irrezuführen (OGH RIS-Justiz RS0031675). Es ist aber zulässig, über einen objektivierbaren Verdacht neutral und ausgewogen zu berichten, insbesondere dann, wenn ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht (OGH RS0102056). Ein Sachverhalt, auch wenn dieser mehr oder weniger zwangsläufig auf die Schuld des Betroffenen schließen läßt, muß immer berichtbar bleiben, unzulässig ist nur eine den Gerichten vorbehaltene Wertung im Sinn einer Lösung der Tat- oder Schuldfrage (OGH 07.09.2016, 15 Os 21/16a; RS0124327). Bei der neutralen Wiedergabe eines Tatverdachtes (etwa aus einem Haftbefehl oder aus einer Ermittlungsanordnung der Staatsanwaltschaft) besteht keine objektive Nachprüfungspflicht über die Richtigkeit des Tatverdachtes (OGH RS0102056). Bei einem Bericht in Medien hat eine Person, die verdächtig ist, eine Straftat begangen zu haben, aber einen Anspruch auf Schutz ihrer Anonymität (§ 7a MedienG). Eine identifizierende Berichterstattung ist nur zulässig, wenn ein öffentliches Interesse an der Identität der tatverdächtigen Person besteht.
Werturteile
Ein Werturteil ist die aufgrund einer Denktätigkeit gewonnene subjektive Meinung des Erklärenden, die allein von diesem interpretiert, aber nicht objektiviert werden kann (OGH RS0067266). Je mehr eine Äußerung auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruht, je eingehender die Grundlagen dieses Erkenntnisprozesses dargestellt werden, und je deutlicher zum Ausdruck kommt, daß eine subjektive Überzeugung im geistigen Meinungsstreit vertreten wird, um so eher wird ein reines Werturteil vorliegen (OGH RS0112211).
Ein Werturteil ist nur unzulässig, wenn es auf unwahren Tatsachenbehauptungen basiert oder wenn es angesichts der Fakten, die es betrifft, übertrieben (exzessiv) ist (OGH RS0031815 T11, T20).
Ein und dieselbe Äußerung kann je nach dem Zusammenhang, in den sie gestellt wird, bald unter den Begriff der Tatsachenbehauptung, bald unter den Begriff des reinen Werturteils fallen. Entscheidend ist dabei, wie die Äußerung von den Empfängern - zu einem nicht unerheblichen Teil - verstanden wird (OGH RIS-Justiz RS0031815). Tatsachenbehauptungen können sich auch implizit aus Werturteilen ergeben (OGH RS0032688).
Der Wahrheitsbeweis
Tatsachenmitteilungen, die den Ruf oder das Fortkommen eines Menschen beeinträchtigen können, sind zulässig, wenn sie nachweislich wahr sind. Eine Tatsachenmitteilung ist auch dann als wahr anzusehen, wenn sie nur in Details nicht der Wahrheit entspricht (OGH RS0031649 T1; RS0031828). Maßgebend ist die Richtigkeit des betreffenden Tatsachenkerns (OGH 15.10.2012, 6 Ob 162/12k Pkt. 1.1.). Der Wahrheitsbeweis ist schon dann als erbracht anzusehen, wenn er den Inhalt einer Mitteilung im wesentlichen bestätigt (OGH RS0079693).
Die Grenzen
Die Meinungs- und Medienfreiheit gilt nicht grenzenlos. Der Schutz des guten Rufes und der wirtschaftlichen Lage derjenigen, die von unwahren Tatsachenbehauptungen betroffen sind, beschränkt notwendigerweise die Meinungsäußerungsfreiheit (OGH RS0075642).
Unsachliche und beleidigende Äußerungen sind auch unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit nicht zulässig (OGH RS0106666). Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann auch eine Herabsetzung durch unwahre Tatsachenbehauptungen nicht rechtfertigen (OGH RS0032201). Bei unwahren Tatsachenbehauptungen oder bei Werturteilen, die auf unwahren Tatsachenbehauptungen basieren, gibt es kein Recht auf freie Meinungsäußerung (OGH RS0107915).
Sachliche Kritik
Ansonsten gilt insbesondere, daß auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein kann, solange wertende Äußerungen nicht exzessiv, sondern vertretbar sind (OGH RS0054817).
Wesenselement der Demokratie
Da die Freiheit der politischen Debatte einer der Pfeiler des Konzeptes einer demokratischen Gesellschaft ist, sind die Grenzen einer vertretbaren Kritik in Bezug auf einen Politiker, der in seiner öffentlichen Eigenschaft auftritt, weiter zu ziehen als in Bezug auf eine Privatperson. Jeder Politiker setzt sich selbst unvermeidlich und willentlich einer genauen Beurteilung jeder seiner Worte und Taten nicht nur durch Journalisten und das breitere Publikum, sondern insbesondere auch durch den politischen Gegner aus, und muß sich daher eine humorvoll-satirische Kritik gefallen lassen (OGH RS0075552, RS0104586).
Die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amtes sind im Allgemeinen weiter gesteckt als bei Privatpersonen, weil sich Politiker unweigerlich und wissentlich der eingehenden Beurteilung ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aussetzen. Politiker müssen daher einen höheren Grad an Toleranz zeigen, besonders wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen. Dieser Grundsatz gilt auch für Privatpersonen und private Vereinigungen, sobald sie die politische Bühne (die Arena der politischen Auseinandersetzung) betreten (OGH RS0115541).
Ob im politischen Meinungsstreit eine den politischen Gegner treffende Äußerung noch im Sinne des Art 10 MRK gerechtfertigt erscheint, ist vor allem an der politischen Bedeutung der die eigene Sicht und Haltung ausdrückenden Stellungnahme, insbesondere im Zusammenhang mit dem politischen Verhalten des Betroffenen an der dem Anlaßfall und der Bedeutung des Aussageinhalts angepaßten Form und Ausdrucksweise sowie dem danach zu unterstellenden Verständnis der Erklärungsempfänger zu messen (OGH RS0054830).
Der Persönlichkeitsschutz von Politikern ist insofern eingeschränkt, als die Grenzen der zulässigen Kritik bei ihnen weiter gezogen sind als bei Privatpersonen, die Grenze aber dort zu ziehen ist, wo unabhängig von den zur Debatte gestellten rein politischen Verhaltensweisen ein persönlich vorwerfbares unehrenhaftes Verhalten vorgeworfen wird und bei Abwägung der Interessen ein nicht mehr vertretbarer Wertungsexzess vorliegt (OGH RS0082182).
Chilling Effect
Die Funktion der Presse in einer demokratischen Gesellschaft ist es insbesondere, politische Vorgänge kritisch zu beleuchten und verschiedene Positionen zu wesentlichen Vorgängen wiederzugeben. Der Presse muß es dabei möglich sein, ihre vitale Rolle eines „public watchdog" in einer demokratischen Gesellschaft zu erfüllen. Die Freiheit der Meinungsäußerung findet nicht nur auf „Nachrichten" oder „Ideen" Anwendung, die günstig aufgenommen oder als nicht offensiv oder als indifferent angesehen werden, sondern auch auf solche, die verletzen, schockieren oder verstören (OGH RS0123667).
Die Pressefreiheit, aber auch generell die Meinungsfreiheit sollen nicht eingeschränkt werden durch einen 'chilling effect', also das Unterbleiben von Beiträgen zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse aus Furcht, für diesen Beitrag belangt zu werden (OGH 18.02.2021, 6 Ob 52/20w Rz 33).
Interessenabwägung
Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte würde zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen. Es bedarf vielmehr einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (OGH RS0008990). Äußerungen zu einem Thema, an dem öffentliches Interesse besteht, sind also in weiterem Umfang zulässig. Ein Bezug zum öffentlichen Leben besteht jedenfalls bei einem Zusammenhang zur Politik, zu öffentlichen Mitteln, zur Volkswirtschaft, zu öffentlichen Institutionen, zum allgemeinen Wirtschaftsleben, zum öffentlichen kulturellen Leben oder zum Sport oder zu Personen des öffentlichen Interesses (OGH 16.03.2011, 15 Os 98/10s).
Höchstpersönlicher Lebensbereich
Der höchstpersönliche Lebensbereich eines Menschen stellt den Kernbereich der geschützten Privatsphäre dar und ist daher absolut geschützt, so daß öffentlicheÄußerungen darüber grundsätzlich unzulässig sind (OGH RS0122148). Zum höchstpersönlichen Lebensbereich zählen insbesondere das Familienleben, die Gesundheit und die Sexualität. Veröffentlichungen darüber sind nur zulässig, soweit ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben besteht und wahrheitsgemäß berichtet wird, oder soweit ein Mensch Themen seines höchstpersönlichen Lebensbereich selbst bekanntgibt oder in eine solche Bekanntgabe einwilligt (§ 7 Abs. 2 MedienG).
Die Auslegung
Die Auslegung einer Äußerung (z.B. Wortmeldung, Artikel, Presseaussendung, Posting) erfolgt nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck. Maßgeblich ist das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder Durchschnittshörers, nicht aber der subjektive Wille der erklärenden Person (OGH RS0031883).
Bei der Feststellung des Bedeutungsinhalts ist stets nicht bloß die inkriminierte Äußerung selbst, sondern auch das Anlaß dafür gebende Ereignis zu beachten (OGH RS0123666).
Mehrdeutigkeit
Wer eine mehrdeutige Äußerung macht, muß die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen (OGH RS0079648). Aber auch die Anwendung dieser Unklarheitenregel ist am Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu messen. Liegt die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr ist und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt, so muß die entfernte Möglichkeit einer den Kläger noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben (OGH RS0121107).